Sehr geehrter Herr Dobelli

von 2b am 8. September 2012

Rolf Dobelli ist Buchautor und u.a. Kolumnist bei der Sonntagszeitung

Betreff: Ihr Interview, das Denken

Sehr geehrter Herr Dobelli

Obwohl ich Ihre Kolumne in der Sonntagszeitung schätze, lese ich sie selten. Ich lebe zwar nicht zeitungsabstinent, wie Sie. Doch begnüge ich mich wohlweislich mit flüchtiger Lektüre. Soeben habe ich dem Wind zugeschaut, wie er Zeitung liest. Im Sekundentakt wird Seite um Seite des Bundes, in dem das grosse Interview mit Ihnen steht, umgeschlagen, mal eine, zwei übersprungen. Ist die letzte um, wirft er sie flugs weg. Vorbei.

Ach ja, weshalb schreibe ich Ihnen? Grund ist «The missing Link». Wieder einmal!
Sie geben mir den Eindruck, dass Sie ehrlich sind; auch mit sich selber. Also werden Sie wohl auch meinen Hinweis vertragen.

Selber liebe ich klares Denken … nicht über alles, doch prominent. Ist es doch in erster Linie die Fähigkeit zu unterscheiden. Andererseits verführt eben das 300’000 mal zur Illusion der Machbarkeit. Tatsächlich bildet Denken nämlich ein ziemlich geschlossenes System; ich nenne es «Mindset». Das wird sehr viele Menschen überraschen, sind wir doch stolz auf diese hervorragende menschliche Eigenschaft, setzen sie gar mit Freiheit gleich. Denkste! Auch die von Ihnen gern zitierte Forschung überwindet diese Grenzen nur selten. Doch als Inspiration taugt sie allemal. – Dieses Mindset repräsentiert ein tiefer liegendes System gleichsam als dessen Aussenstation. Und jenes, es sei geklagt, entzieht sich vollständig unserer Kontrolle; auch jener des klarsten Denkapparates.
In meinen Büchern und Essays, in meinem Online Magazin INSIDER sowie in meinem Blog schreibe ich regelmässig über die Natur des Denkens, dessen Potenz und dessen enttäuschend enge Grenzen. Natürlich auch über dieses mysteriöse innere System, das – ist es erst bekannt – mit klaren, verständlichen, ganz unesoterischen Worten sowie in vernünftiger, ja nüchterner Logik beschrieben werden kann. Dies im Unterschied etwa zu Freuds «Unbewusstem». Zu Ihrer Entlastung brauchen wir dafür auch keinen Gott zu bemühen (du meine Güte!).

Das ist the missing Link. Denken ist das Instrument einer ausserhalb, unterhalb, jenseits oder wie auch immer der bisher erforschten Seinsräume liegenden Regiestation, die unser Leben dirigiert. Ich nenne sie «Rootset» (Namen kann man sich besser merken, als Gedankengänge). Diese Abhängigkeit gilt übrigens auch für die Emotionen; deshalb können wir uns auch nicht auf „unser Gefühl“ verlassen. Es sei denn, wir haben aufwändig einen offenen Kommunikationskanal zwischen Rootset und (äusserst kritischer) bewusster Wahrnehmung eingerichtet.

Das ist leider noch nicht alles. Die wesentlichen Inhalte, mit denen dieses Rootset operiert, sind bei uns Menschen von gleichermassen ernüchternder wie erschütternder Beschaffenheit, dass ich darauf verzichte, Sie ungefragt damit zu konfrontieren. Ausser vielleicht dem Hinweis, dass Sie sich mit Ihren Modellen immer wieder mal optimal annähern. Chapeau! Es ist das, was gute Vernunft vermag. Immerhin.

Jedoch vermag es noch so vernünftiges Denken nicht, uns zu emanzipieren. Das halte ich für entscheidend. Und das ist die Enttäuschung, die ich Ihnen zumute. Genau das kann man, wenn man’s kann, dem ehrlichen, offenen Interview leicht entnehmen.

Das Ganze ist seit nunmehr dreissig Jahren mein wichtigster Forschungsgegenstand, mit dem Bestreben, daraus bisher logischerweise ungeahnte Lösungen abzuleiten. Nach diversen Flops bin ich mittlerweile ganz zufrieden mit den Ergebnissen (so umschreibt der bescheidene Mensch die helle Begeisterung, nicht wahr?).

Übrigens habe auch ich so ein tolles Buch geschrieben, das sich zwar gut, jedoch weniger verkaufte, als es sich Verlag, Autor und LeserInnen gewünscht hätten. Es ist ein Sachbuch, heisst «Ruhe!Punkt.» und befasst sich mit einem Forschungsgegenstand, für den mich mittlerweile bedeutend mehr Menschen kennen, als für den oben genannten: unserem Umgang mit der eigenen Energie. Da ich vorerst wenig Lust verspürte, mich für die weiteren Publikationen wieder einem Verlag anzudienen, habe ich das dank Internet in die eigenen Hände genommen (2bd.ch). Aber ich werde demnächst trotzdem einige nette Briefe schreiben. Ein Verlag hat mehr Mittel, um das ominöse Glück zu provozieren. Auch in diesem letzten Punkt stimme ich mit Ihnen überein.

Mit freundlichen Grüssen

Bernhard Brändli

Hüttwilen, 12. August 2012

 

 

1 Kommentar »

  1. die folgende information ging an die SoZ:

    sauerei: die lausige redaktion der sonntagszeitung hat meinen brief, trotz bitte, nicht weitergeleitet. welche überheblichkeit! oder bloss peinliche überlastung? vielleicht machen sie das auch «grundsätzlich» nicht (ohne den absender zu informieren!) – die billigste ausrede.

    was sich gehört: herr dobelli hat, nach meiner zuflucht auf seine website, umgehend und freundlich geantwortet – so im mass, wie man das von einem intelligenten biederen Bürger erwarten konnte.

    2bd am 10. September 2012 um 21:43 Uhr

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