5 Jahre Finanzkrise – Grund zum Feiern?

von 2b am 9. August 2012

Vom Leistungswahn zum Wachstumswahn und wieder zurück: Die kapitalistische Folterfabrik

Das entscheidende kapitalistische Axiom heisst Wachstum.
Damit der Kapitalismus funktioniert, muss er scheints wachsen. Es muss immer mehr werden. Von allem.
Mehr Produkte, mehr Gewinn. Und, um das zu bewerkstelligen, mehr Arbeit, mehr Leistung.
Ist das Wachstum eingeschränkt, bzw verlangsamt, so rutscht der Kapitalismus in die Krise. Dies, lange bevor das Wachstum stoppt, geschweige denn zurückgeht.
Also:

In die Krise geraten wir nicht, wenn wir ärmer werden, sondern wenn wir weniger schnell reicher werden.

Die Finanzmärkte und in der Folge die Finanzhaushalte sind im Kapitalismus so strukturiert, dass es dann automatisch so aussieht, als ob wir ärmer würden.

Nach dem Wahn, dass die Märkte unser Gedeihen bestimmten sowie dem Wahn. dass Konkurrenz Bedingung für Erfolg sei, ist der Wachstumswahn das dritte krank machende, absolute Looser-Paradigma des Kapitalismus.

Soweit das so abstrakte wie abstruse System.

Dem stelle ich ein andere Sicht des Wachstums gegenüber. Eine, die zudem voller Toleranzen steckt bezüglich kurzzeitigen Brüchen, Ups & Downs sowie kulturellen Verschiedenheiten:

Der additive Faktor des wirtschaftlichen Wachstums ist relevant, solange zu wenig Ressourcen verfügbar sind, um regelmässig satt zu werden.
Sobald diese Bedingung erfüllt ist, bedeutet Wachstum das Optimieren des Bestehenden.

Natürlich entstand mit der kulturellen Entwicklung, die in menschlichen Systemen eine unvergleichliche und in vielem fantastische Komplexität mit sich brachte, eine erhebliche Bandbreite bezüglich „regelmässig satt sein“. Dieses Paradigma kann – und darf mE – durchaus sehr komfortabel aussehen. Wir können beim erreichten Stand der Entwicklung mE oft durchaus zu Recht sagen: „Das können wir uns leisten.“
(Um allerdings die gleichsam nackte Form des Paradigmas «satt sein» zu beobachten, müssen wir  nicht weit reisen. Nebenbei ein anderer kapitaler Skandal der menschlichen Kulturen. Beinhaltet Kultur im bei uns erreichten Stadium doch Gattungsloyalität. Und dies auf hohem Prioritätsniveau! Auf der andern Seite macht es wenig Sinn, auf arm zu machen, ohne damit irgendetwas bei den materiell wirklich Armen zu bewirken. Das ist eher eine Beleidigung von deren Würde. Denn, was wirklich arm ist, das können wir uns hier längst nicht mehr vorstellen).

Optimieren des Bestehenden heisst:

Statt dem Wahn, „ich bin niemals satt!“ sklavisch und definitionsgemäss endlos (siehe Axiom!) zu folgen, sich dafür auszubluten und so das garantierte Scheitern anzusteuern, richtet sich das gesellschaftliche Engagement und der Einsatz der Ressourcen ganz auf die Qualität des täglichen Lebens aus.

Auf den Punkt gebracht heisst die Losung lapidar:

Besser statt mehr

Die Konsequenzen dieses Wachstums-Paradigmas sind ebenso grandios, wie leider geradezu furchterregend utopisch! (Ich schreibe dazu in vielen meiner Bücher und Essays).

Zurück zum aktuell den menschlichen Teil des Globus beherrschenden Paradigma «mehr, immer mehr».

Bei diesem unantastbaren Anspruch des kapitalistischen Systems müssen wir doch voraussetzen, dass die Menschen, die das System bilden und dieses entweder vorwärts bringen oder zum Scheitern führen, selber zuerst wachsen müssen, um den Erfolg des Systems zu ermöglichen und schliesslich zu gewährleisten. Leuchtet das ein?

Nun stehen wir dem Phänomen gegenüber, dass das kapitalistische System ständig droht zu scheitern.
Zum Beispiel stellen wir heute, fünf Jahre(!) nach Ausbruch der letzten s.g. «Finanzkrise», fest, dass keine Entwicklung hinaus aus der Krise stattgefunden hat; im Gegenteil: Die schlechten Nachrichten lösen sich ab. Die einen berichten von langfristigen Auswirkungen der Krise, die andern von neuen Krisenphänomenen. (Und wieder andere davon, dass sich mit der «Finanzkrise» für die meisten (jene, die nicht direkt darin verwickelt waren) in Wahrheit am tatsächlichen Wohlstand nichts geändert hat – weder zum Negativen, noch zum Positiven).

Bedenke diesen Wahnsinn: Hunderte Millionen Menschen, vor allem Männer – darunter die scheints Klügsten und Besten – strengen sich seit fünf Jahren wie verrückt an. Und das ohne ein einziges positives Ergebnis zu bewirken! Im Gegenteil!

Was für ein erbärmliches Resultat unserer (vorwiegend der männlichen) Lebensintelligenz stellen die Versuche zur Bewältigung der Krise dar!

Was sagt uns da der fragende Blick auf den zwingenden Anspruch, zuerst als Menschen zu wachsen, um als menschliche Gesellschaft Wachstum (auch in meinem Sinn) zu bewirken?
Gibt uns der Blick auf  uns selber – auf die TrägerInnen des Systems – Hinweise für die erbärmlichen Resultate im System?

Schauen wir uns also um! Was sehen wir? Menschen machen Karriere, werden älter, ändern die äusseren Lebensumstände (Kaufen und verkaufen Häuser, ziehen um, lassen sich scheiden, …).
Aber wachsen? Nein!
Schlimmer:

Wir schrumpfen!

Überall sehe ich förmliche emotional-mentale Auszehrung. Bis dreissig lässt das sich noch einigermassen hinter der Jugendlichkeit verbergen. Ab dann dringt die Misere ungnädig nach draussen, wird für alle sichtbar. Ich bin wirklich froh, dass für den Kapitalismus vollkommen typische Erscheinungen, wie die Botoxlawine selbst für das Laienauge sofort erkennbar macht, worum es hier geht: (Selbst-)Betrug! Sie drücken die so empfundene, vollkommene Unfähigkeit zu echten Massnahmen aus.
Finde selbst die Beispiele dafür aus deinem eigenen Leben, bzw Miterleben!

Was passiert da?
Von all den Faktoren, die ich in meinen verschiedenen Publikationen ausführe und laufend ergänze, beschränke ich mich hier auf einen. Jenen, der zeigt, wie sich die kapitalistische Katze in den Schwanz beisst:

Je mehr wir uns unter dem Zwang zu wachsen schinden – das heisst immer mehr und mehr und noch mehr zu haben –, desto mehr geraten wir zu Ruinen, die unfähig sind, selbst diese Form des rein äusseren Wachstums zu bewerkstelligen. Also schinden wir uns (und die Untergebenen) noch mehr. Nur, um de facto noch weniger zu leisten. Also, noch einen Zacken drauf! Und noch weniger sind wir in der Lage, kluge Entscheidungen zu treffen, nützliche Unterscheidungen vorzunehmen, erfolgreiche Strategien zu entwickeln (um mal im Kontext des Kapitalismus zu formulieren) – Kurz: Leistungsqualität zu bringen. Also versuchen wir halt, mit noch mehr Leistungsmenge das Wachstum durchzudrücken, nur um … und so weiter und so fort.

Dieses Verhalten nimmt allmählich verzweifelte Züge an. Als ob gleich die Apokalypse bevorstünde.

Auch wenn ich die tieferen Gründe dafür durchaus im Detail kenne, so sind die Dynamik, die immanente Logik sowie die zwingende Konsequenz dieses Teufelskreises doch derart fulminant, dass ich verblüfft und staunend davor stehe.
Doch gestehe ich: Ich fühle mich eher wie im Kino. Eine B-Movie Groteske. So ernst das ganze Verhalten sich gebärdet; es wirkt doch irgendwie lächerlich. Wie spannende, aber schlechte Unterhaltung.

 

1 Kommentar »

  1. Verblüffend einfache Erklärung des Theaters, mit dem wir täglich konfrontiert sind. Leider hat der Wahn längst auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Einzug genommen. So auch in den (mehrheitlich von Frauen geführten) Schulen und im Freizeitbereich (z.B. Sportvereine, welche unsere Kinder besuchen).Um von diesem Theater nicht wahnsinnig zu werden braucht es eine mutige, gehörige Portion Abstand.

    Ursula am 16. August 2012 um 11:19 Uhr

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