Die falschen Fragen, aber richtige Antworten

von 2b am 12. April 2012

Zur Buchbesprechung im TA vom 12.4.12; Dieter E. Zimmer, «Ist Intelligenz erblich? – Eine Klarstellung».

Dankbar bin ich für Bücher solcher Art. Es ist zwar «bloss» Statisterei. Doch die Ergebnisse klären tatsächlich manche Frage. Vielleicht nicht das, was der Autor als Antwort auf den Rassismusstreit, ausgelöst durch Thilo Sarazzins Buch «Deutschland schafft sich ab», wollte. Aber, es ist den LeserInnen überlassen, was sie damit anfangen. Für jemanden wie mich, der sich mit Basisfragen auseinandersetzt, ist vor allem die Schnittstelle zwischen Vererbung und Ausbildung des Individuums von Bedeutung.

Falsche Frage 1: Ach, der alte Streit zwischen „Vererbung“ – also angeboren – und „erworben“! Ja, die Intelligenz wird (scheints) zu 75% vererbt. Und 25% bleiben frei – immerhin! Die Frage ist jedoch nicht, wie gross der Einfluss der psychischen Entwicklung auf die Intelligenz ist, sondern, ob die Psyche überhaupt relevant ist. Gut, ohne Gefühle geht gar nichts, was unser Leben in irgendeiner Weise lebenswert macht. Doch mit Gefühlen ist auch nichts garantiert. Die Psyche ist einfach die falsche Anlaufstelle, um den Ort der Entscheidung zu finden. Die Psyche, diese Zeichengeberin und Verarbeitungsstation ist nicht wirklich relevant. Weshalb auch? Die Psyche agiert nicht, sie reagiert. In diesem Sinn sind Psychologen die falschen Fachkräfte, das zu untersuchen. Trotzdem eine nützliche Antwort (s. weiter u.)
Ist ja kein Zufall, dass ich zum Ergebnis gekommen bin, die Psyche schlicht als Dschungel zu bezeichnen: faszinierend, aber auch endlos mit seinen Verstrickungen. Und die Abholzer des Dschungels, mit ihren Maschinen – die schönen unter den medizinischen Operateuren oder die euphorischen Gentechniker – lassen bekanntlich kaum mehr Leben zurück.

Falsche Frage 2: Die wirklich interessante Frage haben wir indirekt der Genforschung zu verdanken. Auch, wenn diese die Frage mit ganz anderen Interessen stellt. Doch sei meine Skepsis gegenüber dem Ansinnen der Genforschung, über Genmanipulation an Menschen Lösungen finden zu wollen – mithin die Wiederauferstehung des mechanistischen Weltbildes (war das überhaupt gestorben?) – für einmal zurückgestellt. Es ist nämlich nicht die Frage, zu welchem Anteil die Gene unser Leben bestimmen, sondern: Wie beweglich sind Gene? Ich gestehe, auch ich neigte als Psychologe zu früheren Zeiten sowohl zu einer Überbewertung der biografischen Einflüsse als auch zu einer deterministischen Sicht der Vererbung. Psychologische Allmachtsfantasien. Doch, das sind Tempi passati. Die Aufmerksamkeit verlagert sich. Die neuere Genforschung verweist immer wieder auf Veränderungen der Gene, nicht bloss von einer Generation zur anderen, sondern auch im Leben eines einzelnen Individuums (Bsp Epigene). Ja, sogar innerhalb von Minuten (an-/abschalten)!

Auch wenn die Frage, auf welchen Wegen die Informationen übertragen werden, für mich noch nicht schlüssig beantwortet ist – und mit zunehmender Entdeckung «beweglicher Gene» – wohl auch keine brisante Frage mehr ist, so können wir immerhin sagen:

Zahlreiche Phänomene werden vererbt. Das  heisst jedoch keineswegs, dass sie deshalb unveränderbar sind.

Was meine Arbeit notabene täglich beweist. Ohne jede Manipulation. Ja, ohne jede «Behandlung»!

Ein Beispiel, das ich bereits seit 15 Jahren propagiere, ist die Systemik. Ich habe die Systemik öfter beschrieben als das lange fehlende Bindeglied zwischen Vererbungslehre und biografieorientierter Psychologie. Und in der Folge vorgeschlagen, die Querelen endlich zu begraben und aus der alten, gehässigen Dualität einen Dreizack zu bilden.
Dort stellte sich dann aber die Frage, auf welchen geheimnisvollen Wegen die systemischen Informationen von Generation zu Generation übertragen werden.
Wie gesagt, hat diese Frage inzwischen an Brisanz verloren. Ich bin, angesichts «beweglicher Gene», sogar gern bereit, die Transportfrage pauschal den Genen zuzuschlagen. Spielt doch keine Rolle. Dieses Feld überlasse ich gern dem reinen Forschergeist, ohne Zwang zur Nützlichkeit.

Das schlagende Beispiel par excellence jedoch ist das Thema Unwertempfinden. Immerhin haben wir es hier mit dem grundlegendsten menschlichen Einfluss auf unsere Zivilisation zu tun. Bedeutender noch als die im Buch behandelte Intelligenz! (s.u.)

Bemerkenswert dabei ist die nach wie vor allumfassende Tabuisierung des Themas. Für den Fachmann allerdings kein Wunder. Hängt diese doch direkt mit dem Unwertempfinden zusammen; nämlich mit dem Selbstbild (vor allem der Männer, die bekanntlich unsere Zivilisation bis in unsere Tage nachhaltig prägen): dem zwanghaften Image der Stärke.

Es ist offensichtlich, dass die biografische Elternliebe – im Zuge der 68er Jahre zu neuem Leben erwacht – nur einen sehr beschränkten Einfluss auf die Frage hat, ob sich das Kind in seinem tiefsten Innern unwert oder wertvoll fühlt. Vielleicht die bereits bezüglich Intelligenz veranschlagten 25%? Das Kind – Mädchen wie Knaben; allerdings in verschiedener Weise – fühlt sich an seiner Basis ungerührt unwert. Also, um Missverständnisse auszuschliessen: auch du! Dies geschieht, egal wie fürsorglich, liebevoll, ja: lebenskompetent seine Eltern sind.
Klartext: Das Unwertempfinden wird vererbt!

Also stellt sich die, nach meiner oben geschriebenen Einschätzung, wichtigste Frage für die menschlichen Zivilisationen genau hier:

Ist dieses vererbte Unwertempfinden – das ich, seinem Charakter entsprechend «Unwertvirus UV21» nenne – überhaupt und falls ja, wie weit und in welchem Zeitraum auflösbar?

An diesem Punkt stehe ich mit der praktischen Erforschung der menschlichen Persönlichkeit (und, wie bereits früher erwähnt (im INSIDER magazin), stehe da nicht zuletzt ich selber, mit meinem eigenen UV21 auf dem Prüfstand).
Und ich kann vermelden, dass gerade in den letzten Wochen wohl entscheidende diesbezügliche Klärungen möglich wurden. Klärungen die das Verschwinden des Unwertvirus nicht bloss zu Proklamation mit nachfolgendem Bemühen machen könnten, sondern zum erfolgreichen Projekt.

Falsche Frage 3: Schliesslich stellt sich eine Frage, die seltsamerweise – auch hier wieder dasselbe Tabu! – gar nicht gestellt wird. Beziehungsweise, die Frage nach der Vererbbarkeit der Intelligenz zielt in einen irrelevanten Raum. Die Intelligenz wird mir nichts dir nichts zuoberst auf die Werteliste gesetzt. Es wird als selbstverständlich betrachtet, dass die „analytische Logik“ – man kann sie auch als «männliche Sicht der Intelligenz» bezeichnen – der entscheidende Faktor für den Fortbestand unserer Zivilisation sei.

MITNICHTEN! Betrachten wir nur schon mal die vorläufigen Ergebnisse dieser Art von Intelligenz. Schauen wir zB auf unsere Wirtschaft … Huh!
Und dort auf die Finanzanalyse als den dortigen Hort der Intelligenzbestien! Mir schaudert! Dir nicht auch?
Die Wirklichkeit:

Die klassische Intelligenz hat mit dem tatsächlichen Mensch-Sein etwa so viel zu tun, wie eine Goretex-Jacke: Okay, jedoch nicht relevant.

Freut euch, ihr «dummen» Türken! Nehmt euch vor uns in Acht, ihr «rasend intelligenten» Asiaten!
Auch hier ist es an uns – und wäre es vor allem an den diesbezüglich nach wie vor furchtbar ängstlichen Frauen –, einen alternativen Begriff von Intelligenz einzuführen.
Nämlich diesen:

LEBENSINTELLIGENZ

… oh, sorry! Mein Wörterbuch im Computer(!) kennt diesen Begriff nicht. Es meldet einen Fehler …

Und daraus abgeleitet, die Fähigkeit zu deren konkreter Anwendung:

LEBENSKOMPETENZ.

Diese stets an der tatsächlichen Nützlichkeit in der Praxis ausgerichtete und jederzeit hart und konsequent geprüfte Form von Intelligenz gehört ins Zentrum der Forschung – und UNTERSUCHUNG!

Ich garantiere: Das gäbe einen Umsturz.

Kein Wunder haben wir es hier mit der dritten katastrophalen Auswirkung des immergleichen Tabus zu tun.
Ich fürchte, 80% der aktuellen Top-Führungskräfte und 95% der Top-PolitikerInnen würden auf der Stelle entlassen und zur Behandlung verpflichtet, wenn nicht gar verhaftet, wegen Zuwiderhandlung gegen jegliche menschenwürdige (bzw Lebens-)Vernunft und aktive Schädigung der menschlichen Entwicklung.
50% der Forschung und 80% des entsprechenden Etats würde eingestellt, oder verlagert von irrelevanten oder gar lebensfremden bis lebensfeindlichen Forschungsgegenständen zu lebensfördernden.

Und welches sind die aktuellen Kriterien für die Prüfung?
Auch hier – ich bitte um Verzeihung – sind die Kriterien dermassen simpel, dass sie von jeder bloss analytischen, wie ein Perpetuum mobile ständig unter Druck, ihren Wert zu beweisen stehenden Hochintelligenz zuverlässig übersehen werden:

  1. Die Fähigkeit, tatsächliche Lebensqualität zu erkennen (Lebensintelligenz)
  2. Die Fähigkeit, die Erkenntnisse umzusetzen (Lebenskompetenz)

Die Defintion, was umfassende Lebensqualität ist, kann beim Autor bezogen werden. Sie findet sich auch im Anhang des Buches «Ruhe!Punkt. – ein Crashkurs» (siehe Anzeige auf dieser Seite).
(aber, die muss ich nun zuerst mal überprüfen und mit dem neusten Forschungsergebnissen abgleichen …)

Und was sind die Kriterien für die Überprüfung «der Besserung», bzw der neu entwickelten Lebensintelligenz?

  1. kurzfristig: die konsequente Orientierung des privaten und beruflichen Handelns an umfassender Lebensqualität
  2. mittelfristig: Die konsequente Realisierung umfassender Lebensqualität
  3. langfristig: Die konsequente Ausrichtung des individuellen wie gesellschaftlichen Lebens am erfolgreichen Weiterleben der Gattung

Leider, so befürchte ich (natürlich weiss ich es ganz genau!), hängt die Frage des Erwerbs umfassender Lebenskompetenz untrennbar mit der Vertreibung des UV21 zusammen. Ohne das eine ist nichts mit dem andern (ist ja logisch; sonst hätten die Menschen längst eine Lösung dafür gefunden!).

So darf ich zum Schluss einmal mehr feststellen, dass die Forschung, ebenso, wie die Statistik – die, streng genommen ja keine Forschung ist, sondern schlichtes Datensammeln, mit bloss empirischen Ergebnissen – auch nützliche Ergebnisse im Sinne der Lebensintelligenz hervorbringen. Dabei darf man sich natürlich fragen, ob dafür ein solcher Aufwand nötig wäre. Natürlich nicht! Doch wäre es in diesem Fall, gemäss der Regel: «Es ist, wie es ist», unklug, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Fazit: Es ist unerheblich, welche Fragen gestellt werden. Über den Nutzen entscheiden die Antworten.

Also, nochmals: DANKE!

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