He, Allan Guggenbühl

von 2b am 25. September 2009

Du hast Recht, Recht, Recht! Doch, was erzählst du da (im Artikel, publiziert im TAM Nr. 35)? Die Angriffe der Jungen werden institutionell sanktioniert. Ja richtig, wir sind eine wohlorganisierte Gesellschaft geworden. Keine und keiner muss mehr die eigene Angst spüren. Angst?

Was passiert denn da? Die Jugendlichen greifen an. Und was treffen sie? Das Unwertempfinden der Erwachsenen (auch deines und meines – aber wir sind ja Meister darin, eloquent damit umzugehen). Dieses längst praktisch weltweit generalisierte Unwertempfinden (ein schrecklicher Irrtum notabene!) haben wohl wir Männer zu verantworten. Natürlich fühlen sich auch die Jungen unwert. Ihr Angriff mildert den Schmerz und die existentielle Unsicherheit. Wir Erwachsenen haben dazugelernt und unsere Betroffenheit, unsere eigene Verunsicherung weit von uns entfernt. Ganz besonders wir Männer. Du beschreibst das treffend.

Aber war es denn vorher besser? Was sagten die hochroten Köpfe damals? Erstens wollten sie unbedingt und rigide Recht behalten, um keinesfalls in ihrer Unsicherheit getroffen zu werden. Zweitens haben sie die jugendliche Widerrede erstickt – mit Gewalt, mit Donner und Doria, mit schlechten Noten, mit sadistischen Spielchen. War das besser? Nein, mein Lieber. Die Debatte, die du vermisst, hat bis heute nie stattgefunden. Entschuldigung: In ein paar Indianerstämmen, im alten Bildungsbürgertum (bei Thomas Mann zuhause?), … Quatsch! Solange wir uns selber unwert fühlen, werden wir entweder uns selber zunichte machen oder uns lebenslang unendlich abmühen und uns beim geringsten Kratzer an unserem in Wahrheit maroden Selbstwert verteidigen, als ob es ums Leben ginge (genauso empfindet es das Kind in uns ja auch).

Nochmals, lieber Allen: Du hast Recht, Recht, Recht. Doch, weder war es vorher besser – beileibe nicht! Noch gibt es eine realistische Perspektive für die von dir propagierten Debatten. Denn echte Debatten sind Dialoge, wo beide lernen. Ansonsten wollen beide bloss Recht haben, um so ihr eigenes Unwertempfinden zu schützen. Du denkst wohl, ich reite auf diesem ominösen Unwertempfinden herum. Das wirkt eventuell so, weil es verdrängt wird, wie nichts sonst, weil es so ungeheuer unangenehm ist, sich damit konfrontiert zu sehen und weil es andererseits überall hervorguckt, taktisch den meisten unserer Handlungen zugrunde liegt. Und weil wir doch alle irgendwie davon wissen, ohne es zu benennen, nicht wahr? – Wenn unser älterer Sohn (24) so total empfindlich und aggressiv auf jegliche kritischen Anfragen unsererseits reagiert, erkennt sich seine Mutter darin. Sobald die Wogen abebben, schmunzeln wir darüber. Und wenn unser jüngerer Sohn (22) so unglaublich massiv auf jegliche Ordnungsanträge seiner Eltern reagiert, dass uns die Luft wegbleibt, erkenne ich mich darin und sage mir: „Der wartet nicht bis Matthäus dem Letzten, wie ich damals, bis er das macht.“ Eine Weile später grinsen wir und ich verliere Sätze wie: «Ich sage dir nur eines, verdammter Bengel, mach es besser, wie ich! Oder was glaubst, wofür haben wir an uns gearbeitet, wofür haben wir investiert? Go on!» – Pardon, jetzt weiss ich nicht mehr, wie das mit der Selbstverantwortung war. Beziehungsweise mit dem Desinteresse, das mich als Vater – ich gebe es zu – manchmal ergriff. Wie tröstlich, da um die Tiger zu wissen, die sich wenig um die Familie kümmern, jedoch im Revier verbleiben und so Weib und Nachwuchs schützen (danke für den Support SF DRS!).

Lieber Allen, ja, ich bin schuldig. Als du wahrscheinlich noch ein typischer kleiner Schnuderi warst, war ich 1973 Mitbegründer und erster Schulleiter der «Freien Volksschule im Kt Zürich». Ein waschechtes 68er Produkt. Ich war talentiert, ambitiös und total engagiert. Nach einem Jahr an der Staatsschule konnte ich mir unter den attraktivsten Stellen die passende aussuchen. Ja, und ich war romantisch, also schuldig! Filmer wie Xandi Seiler und Rolf Lissy, oder der linke Anwalt Schumacher gehörten zur Avantgarde unserer Eltern, aber auch aufgeschlossene Villenbesitzer vom rechten Zürichseeufer. Wir eröffneten mit 70 Kindern. Doch die bald entstehenden endlosen «Debatten» zwischen fortschrittlichen Eltern und Eltern von aus der Volksschule ausgemusterten Kindern nahmen mir Jungspund (22) allmählich den Schnauf. Die Kinder, ja, die waren das geringste Problem. Mit ihnen war es eine der besten Zeiten meines Lebens. Schliesslich teilte ich die Schule auf, verliess sie aber auch. Nach einem satten Timeout mit Wunden lecken, verarbeitete ich meine persönliche Niederlage im Psychologiestudium – oder vielmehr bei dem, was drumherum lief, Therapie und so.

So weiss ich denn auch keine bessere Lösung, die wie Phönix aus der Asche aus dem Konjunktiv emporsteigen würde.
Denn, weder sind wir Menschen aufgrund unserer Geschichte seit der letzten Eiszeit besonders geeignet für währschafte, echte Lebenskompetenz, die sich auch nur entfernt mit der anderer Tiere messen liesse. Zudem nimmt diese Lebenskompetenz laufend ab (ist das nicht einigermassen erschreckend?).
Noch bestehen gute Aussichten, dass sich plötzlich massenhaft Menschen beginnen, mit ihrem eigenen Unwertempfinden auseinanderzusetzen, nachdem sie während tausenden von Jahren jeden Preis – jeden! – dafür bezahlten, genau dem auszuweichen. Bloss, weil heute die Möglichkeit besteht, dieses Horrorregnum an den Steuerknüppeln unserer Existenz allmählich, aber ein- für allemal, auszulöschen!?

Alles Liebe

Bernhard, alias 2bd

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