Erstaunlich viel Täuschung

von 2b am 20. Oktober 2008

Seit über dreissig Jahren arbeite ich mit Menschen an deren Grundverfassung, initiiere strukturelles Lernen. Ich hege dabei ausschliesslich gute Absichten. Erstaunlich: 80% versuchen trotzdem, mich zu belügen. Da ich nie an der Arbeit mit stark Süchtigen interessiert war, tun das nur eine kleine Minderheit mit bewusster Absicht. Eine etwas grössere Minderheit versucht, sich mit Lügen einen Vorteil zu verschaffen. Die Mehrheit jedoch hält ihre Wahrheit schlicht für nicht vertretbar. Scham spielt da eine Hauptrolle; also das Empfinden, dass die Wahrheit unzumutbar sei; also das Unwertempfinden. Die meist unbewussten Lügen, die daraus entstehen, erscheinen in vielen Varianten. Die Hauptkategorien sind Dramatisierung und Verharmlosung. Die unangenehmsten Lügen sind die Manipulationsversuche. Das Gute an der Sache ist, dass sich, mit Ausnahme der kleinen, bösartigen Minderheit, die Leute mit den Lügen ausschliesslich selbst schaden. Natürlich schaden sich auch die Niederträchtigen selbst. Doch macht das bei denen keinen Unterschied mehr. Da ist eh alles, was Sinn macht, verloren. Eine meiner beruflichen Hauptaufgaben, wenn nicht die wichtigste überhaupt, ist es, diese Lügen zu durchschauen – möglichst bevor ich mir betrogen vorkomme und ärgerlich werde – und zur wirklichen Person vorzudringen; denn das ist die einzige Möglichkeit, wirksames Lernen zu initiieren. Eine gute Methode, dem Ärger zuvorzukommen, ist die, es als meinen Fehler zu betrachten, wenn ich mich täuschen lasse. Da ich mit mir nach langjähriger Auseinandersetzung mittlerweile ziemlich gut auskomme, ist der Ärger über mich selbst eher geringer, als es der über andere wäre, wenn ich bloss ihnen die Schuld zuschieben würde, wenn es ihnen gelingt, mich zu täuschen. Interessant ist: Die notorischen Versuche, andere über sich selbst zu täuschen, beschränken sich mitnichten auf den Kontext meiner beruflichen Arbeit – sie wirken dort einfach vollkommen widersinnig. Die genannten Verhältnisse entsprechen vielmehr ziemlich genau meinen Erfahrungen im Kontakt mit Menschen überhaupt. Nun zu sagen, es sei eine verlogene Welt, klingt abscheulich. Bei der grossen Mehrheit neige ich persönlich eher zu einer Art heiteren Mitgefühls, wegen des Schadens, den wir uns unnötig und ohne böse Absicht selbst zufügen.

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