Forum Geld/Money – VIII

von 2b am 30. Oktober 2006

Frage:
Sie erwähnen die Armen ab und zu. Aber Sie haben sich noch nicht näher dazu geäussert (stehen Sie den Reichen näher?). Vor allem im Beitrag ‚Grosse Töne aus dem Wasserglas‚ (der restliche Titel bleibe hier unerwähnt) hat mich die Aussage „unsere Armen inklusive“ irritiert. Also, bitte: Wie stellen Sie sich zu den Armen?

Antwort:
Zuerst zu Ihrer ersten Frage. Also, wenn wir das ausmitten sollen: Ich persönliche würde mich am liebsten ‚in der oberen Mittelschicht‘ platzieren (soweit würde ich auch allfälligen Reichtum reduzieren), dort, wo einfaches Leben eine freie Wahl ist und ich Raum habe für meine Arbeit. Wenn ich das richtig ausmesse, so ist das näher bei den Reichen, wie bei den Armen. Sie mutmassen also richtig.

Im übrigen: Habe ich gesagt, die Reichen seien harte Brocken?
Und die Armen erst! Wissen Sie: Vom Reichtum träumen und ihn den andern neiden ist etwas anderes, als etwas dafür tun; nein, es ist nicht einfach etwas anderes: Es ist ein volkommen anderer Lebensentwurf.

Doch beginnen wir am Anfang:
Arme Menschen hatten in der Regel schlechte Voraussetzungen im Hinblick auf Erringen von Wohlstand (ich gehe hier nicht näher darauf ein, das sind zuviele Punkte). Doch mit 20 beginnt eine neue Partie im Spiel des Lebens. Und niemand ist davon befreit, die eigenen Karten bestmöglich einzusetzen. Der wichtigste Trumpf der Armen ist: Eigenverantwortung für das eigene Wohl. Das bedeutet weit mehr als Geld. Das bedeutet zB auch rechtmässig Leben. Aber dieser Trumpf befindet sich meist irgendwo zuhinterst, versteckt hinter einer Reihe von Opferkarten; und viele haben in ihrem Blatt zusätzlich noch die Vorwurfskarten ganz vorn.

Ich würde Arme in den wohlhabenden Ländern ganz anders anpacken, als dort, wo Armut die Regel ist. Das wichtigste dort ist die Unterscheidung zwischen Hunger und Armut. Ich habe zB in Ägypten viele arme Bauern gesehen, die stark, lebendig und zufrieden wirkten. Sie drückten deutlich aus: ‚Uns fehlt es an nichts.‘ Und sie hatten uns in Sachen Lebensqualität und Lebensintelligenz(!) eine Menge voraus. Es standen sich stets zwei ebenbürtige Partien gegenüber. Keiner fühlte sich überlegen. (NB: Bei den Arabern in Ägypten war das völlig anders!).

Kurz: In vielen Ländern existiert eine Armut, die ist ganz ok. Sie verkörpert die Würde dieser Menschen und schützt das einfache Leben, den zuverlässigsten Garanten für ein erfülltes Leben. Nicht nur Reichtum ist da ein unseliger Mythos, sondern auch unsere Vorstellung von Wohlstand. Schliesslich sind in diesem Sinn alle andern Lebewesen auch arm: Sie haben alles, was es braucht, um erfolgreich zu überleben. (Siehe dazu auch meinen Folgeartikel!)
Schutz vor Hunger sowie eine zurückhaltende Unterstützung bei Krankheiten und Naturkatastrophen scheinen mir bei diesen Menschen die angemessene Haltung unsererseits.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Not und Elend in den städtischen Agglomerationen dieser Länder krass sind. Ich möchte mich hier nicht weiter in die Materie einlassen. Nur soviel: Jenes Elend hat nichts mit der Armut gemein, die ich meine; das wäre reiner Zynismus.

Natürlich werden viele solcher Länder von verbrecherisch gesinnten Menschen regiert, so dass Armut dort lediglich eine geglückte Zuflucht ist, vor Ausbeutung, Unterdrückung und Hunger. So wird es die erwähnte einfache Politik allein wohl kaum geben. Hier müssen Lösungsmodelle (und), wie ich sie an dieser Stelle auch schon skizziert habe, zusätzlich zum Zuge kommen. Ich plädiere da stets für eine starke, konsequente Politik!

Ganz anders in den reichen Ländern. Hier ist Armut generell von der Aura des Elends umgeben. Die Armen sind die Verlierer, eine Minderheit im allseitigen, ziemlich erfolgreichen Streben nach Wohlstand – oder eben Reichtum. Vielleicht klagen wir zu Recht über die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Reichen und Armen, wie gerade die jüngste Sonntagspresse wieder. Aber ich fühle mich trotzdem verdammt unwohl dabei.
Genauso fühlte ich mich meist im Umgang mit hiesigen Armen: verdammt unwohl. ‚Da stimmt doch etas nicht,‘ musste ich mir meist sagen. Bis ich andere Saiten aufzog und sie gandenlos konfrontierte. Wer das aushält, kommt in Bewegung und ist kaum mehr lange arm. (Ganz ähnlich, der Sache angepasst, habe ich das übrigens mit Psychotikern gemacht. Weshalb haben Krankenkassen mich, den Psychologen ohne Universitätsabschluss, gebeten, die Therapie mit (leichteren) Psychotikern zu übernehmen? Weil die mir nach relativ kurzer Zeit aus der neubezogenen Wohnung oder von ihrer Hochzeit geschrieben haben: „Ich hasse dich, aber mir geht es gut!“ Stets dieselbe Nachricht in Varianten. Mit 20 beginnt eine neue Partie…).
Um Ihre Frage dazu noch zu beantworten: Ja, nach meiner Ansicht haben die Armen in den reichen Ländern genauso solidarisch beizutragen, wie alle andern, die handlungsfähig sind. Ich bin sicher, den Armen hilft nur das: Sie auffordern, ihre Armut abzulegen und volle Kraft voraus zu gehen; sie fordern, ihr Bestes zu geben und mehr davon dazu zu nehmen; sie herausfordern, ihren wertvollen Beitrag zu leisten. All diese Forderungen bedeuten auch: Wir trauen euch das zu! Ich sehe nichts, dass sie davon befreien würde.

So ist also die regel-mässige Erfahrung:
Reiche nehmen schamlos und blind.
Arme verweigern das Nehmen (des Guten) beharrlich und blind.

In reichen Ländern ist Armut mE ein gesamtgesellschaftlicher Skandal. Armut hier beweist: Wir erweisen uns als Gesellschaft als absolut unfähig, allen Mitgliedern ein Leben in Wohlstand und hoher Lebensqualität zu gewährleisten. Dies, obwohl die Ressourcen dafür mehr als ausreichend vorhanden sind.
Und das feiern wir dann als demokratische Gesellschaft und schämen uns nicht, überheblich damit anzugeben, ja, in der Welt als die wahren Meister aufzutreten. Das allein ist schon ein Skandal!

Wir in den reichen Ländern, und die Wohlhabenden und Reichen in den armen Ländern, müssen mE dazu beitragen, dass Armut einerseits den Respekt erhält, die sie verdient und die entsprechenden Menschen dort unsere Wertschätzung und, wo angemessen: Verbeugung, erfahren für ihre Existenz. Wir müssen sie in Ruhe lassen mit unserem Wahn des Rennens nach Wohlstand. Sie sollen, unabhängig von uns, selbst entscheiden, wohin sie sich bewegen möchten, wenn überhaupt. Aber wieviele sind es noch, die diese innere Kraft und Würde besitzen, in einer Welt, die vollkommen vom Virus UV21 verseucht ist?

Andererseits sollen die in Armut Lebenden hier, wo diese sich als Elend darstellt, an die Eigenverantwortung sowie die Möglichkeiten erinnert werden, ihr zu entkommen. Ich halte, offen gestanden, gar nichts von Helferhilfsprogrammen, die diese Menschen bloss in deren Opferhaltung einkleistern, ihnen darin Recht geben – und sie kollossal schwächen! Stattdessen sollen jene, die da raus wollen, konsequent und hart unterstützt werden, damit sie als Anziehungspunkt für andere dienen, die es ihnen nachmachen. Dabei wird nichts geschenkt, selten (nur nach Vorleistung) geliehen, sondern parallel erarbeitet.
In meiner Lesart würde ich sagen: Reiche und Arme profitieren beide ganz besonders und in ähnlichem Ausmass von einem Projekt zweite Lebensschule (und weitere unter).

Armut = schlichtes Sein ohne Hunger und Not halte ich für die einfachste Form, Menschenwürde zu erlangen. Aber für uns ist das unwiederbringlich vorbei. Für uns ist es nur noch möglich, zu Wohlstand in Würde zu finden. Davon sind wir allerdings noch meilenweit entfernt.

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