Die Gute Alte Zeit II

von 2b am 5. August 2006

„Soldaten! Aus Sicherheitsgründen werden Sie wegen des Konzertes der Rolling Stones früher entlassen.“

So haben ausgerechnet die Rolling Stones bewirkt, das unser jüngerer Sohn, Manuel, frühzeitig aus der die militärische Rekrutenschule abschliessenden DHU entlassen wurde (DHU = Durchhalteübung – ich mag ja Abkürzungen auch (es sei beklagt), aber im Vergleich zum Militär bin ich ein richtiggehender Ausschreiber). Also, zuerst die Kürzung der DHU wegen des ersten Augusts (logisch!), dann das. „Die DHU hätte eine ganze Woche dauern sollen – aber ich sage dir: Die können einen auch in 2 1/2 Tagen killen.“ Wäre er regulär, nämlich heute Nachmittag, entlassen worden, hätte er bloss den Sack packen und von der Kaserne auf die Wiese wechseln brauchen. Ein krasser Szenenwechsel.

Und Generationenwechsel. Am selben Ort, wo unsere beiden Söhne die RS (Rekrutenschule) durchgestanden haben, spielen heute die Rolling Stones – unsere Stones. Gefangen in ihrem eigenen Mythos. Als Milliardäre noch geldgierig wie eh und je. Wer möchte im Ernst tauschen?
„Kommt ihr auch?“ Haben sie gefragt. „500 Franken für zwei Sitzplatz-Tickets? Nein, das ist uns nun definitiv zuviel. Und im Pulk im Innenraum stehen mag ich wirklich nicht mehr.“

Ja, als unsere Kinder noch Kinder waren, haben wir sie begleitet. Haben sie uns begleitet. Hat wer wen begleitet? Die Stones in Basel. Die Stones in Frauenfeld (die Stones in unserem kleinen, masslos provinziellen Frauenfeld, unglaublich!). Musste sein – ich hatte sie 1967 verpasst. Ich hatte sie als Zürcher in Zürich verpasst. Skandal! Nun, ich war erst 16. Das war damals noch extrem jung für einen selbständigen Konzertbesuch. Und von der Musik hat man nichts gehört. Nur Geschrei. Und die Beatles lagen mir eh näher. Und die kamen nie in die Schweiz. Und in Düsseldorf, dem der Schweiz nächsten Auftritt? Da habe ich sie auch verpasst – kein Geld. Dafür habe ich es bei den beiden ‚Monsterkonzerten‘ im Zürcher Hallenstadion besser gemacht. Eine fantastische Massierung von Cracks. Jetzt war ich in der Szene drin: Jimi Hendrix, Cream, Stevie Winwood… Da ging die Post ab. Ein Freund von Roman, unserem Älteren (21), meinte vor ein paar Tagen: „Schade war ich nicht in den 70er Jahren auf der Welt; da ging musikalisch die Post ab.“ Hoppla. Das finde nicht nur ich alter Knacker mit dem starren Rückblick. Das finden Kids der neuen Generation, die selbst Musik machen. Hoppla. EINVERSTANNNDEN!! Balsam für meine Rockseele. Und ich darf wieder vom Isle of White Festival 1970 schwärmen, das – das ist wichtig! – mehr Zuschaer hatte, als das Woodstock Festival ein Jahr davor (das ich natürlich auch verpasst hatte – Amerika, zu weit weg; Jimi (und seiner Vietnamhymne) sei’s geklagt). Übrigens etwa 300’000 oder so, mindestens. Und dass ich dafür unerlaubt meinen Platz in der Schulbank verlassen hatte: Abgehauen per Autostopp vom Lehrerseminar im Kloster Wettingen nach London und von da per Zug nach Süden zur Insel. Postkarte an meine MitschülerInnen: Ätsch! Schöne rebellische Zeiten! Und dass es das letzte Konzert von Jimi (ätsch Woodstock) war, das zweitletzte von Jim (Morrison), bevor diese in die ewigen Jagdgründe abwanderten. Die Uraufführung der Rockoper ‚Tommy‘ von The Who (neuerdings wieder von den Toten auferstanden) – Beginn früh um vier. Die Uraufführung von ‚Pictures at an Exhibition‘ von ELP (Emerson, Lake und Palmer), eigentlich Mussorgski – ich im Taumel, das erste Mal vollkommen ausgeflippt.

Und Manuel wird der Stones wegen früher aus der so ungemein wichtigen, unverzichtbaren DHU, der Abschlussprüfung der Schweizer Armeerekrutenschule, der Schinderei (auf deren souveräne Bewältigung man dann doch etwas stolz ist – natürlich des Widerstandes gegen den Beugeversuch wegen…) entlassen! Gute alte Zeit. Damals gab es noch massenhaft gute Gelegenheiten, um Widerstand zu leisten. Meine Söhne hingegen können mich nicht mal mit ihrer Musik ärgern.

Fertig jetzt mit gemeinsamen Konzertbesuchen der Familie Brändli. Bryan Adams (2mal), Bon Jovi – mein letztes Mal im Innenraum. Paul McCartney (doch noch ein bisschen Beatles – meine Seele!) – da bereits Mutter und Vater auf der Tribüne, Sohn im Innenraum. Schluss.
Schluss? „Nun komm, Vater. Es ist Nickel Back. Es ist Franz Ferdinand. Es ist… Die gefallen dir doch. Oder mal ein echtes Fun-Punk Konzert; abgefahren.“
Ja, doch. Die neue Zeit hat auch einiges zu bieten. Manchmal dünkt mich, ich betrachte meine – alte – Zeit nüchterner, als die Jungs von heute das tun.

Keine Kommentare »

Noch keine Kommentare.

Hinterlasse einen Kommentar