Wandern auf luftigen Graten

von 2b am 21. Oktober 2009

Wie ich in der mehr anekdotischen Beschreibung der folgenden grossartigen Tour andeutete, bedeutet die Verbindung von auf – in diesem Fall langer – Tour zu sein und regelmässig Ruhepunkte einzuschalten kein Zeitverlust. Doch ist das noch nicht alles.

Diese regelmässigen, etwa alle halbstündlichen, Unterbrüche von unterschiedlicher Länge führen die ganze Sache in eine neue Dimension. Nicht nur weiss der Körper dank der regelmässigen Kurzregeneration gar nicht so recht, ob er nach zehn Stunden nun müde sein soll, selbstverständlich werden auch die berüchtigten Fehlleistungen gegen Tagesende wesentlich unwahrscheinlicher. Man bleibt ohne Extraaufwand konzentriert, auch wenn der Tag sich bereits neigt. Darüber hinaus aber gerät das Unterwegs Sein in eine neue Dimension. Immer wieder bestätigen wir mit den Unterbrüchen unserem Organismus, dass es auch auf grosser Tour vor allem zählt, ganz da zu sein.

Und dieses Erleben durchdringt den Tag, das Sein so nachhaltig, dass ich es eben wage, von einer neuen Dimension des Tourens zu sprechen.

Alles, was uns sonst schon dazu lockt und uns dabei beglückt: Das aktiv Sein in der einsamen Natur, die grossartige, weitgehend unberührte Umgebung, die mannigfache Herausforderung und deren Bewältigung, die Bestätigung also der eigenen Kraft und Tüchtigkeit – all das bleibt. Und hinzu kommt noch dieses Erleben, einfach und ganz da zu sein. Die Zielorientiertheit löst sich in nichts auf, und trotzdem werden dieselben Ziele erreicht, nur mehr beiläufig. Umkehren – überhaupt kluge Entscheidungen zu treffen – bedeutet in dieser Verfassung nichts Besonderes. Frei von diesem Getrieben-Sein, das uns auch auf Tour so klandestin erfasst, verliert das Ziel das Zwingende. Man tut einfach das, was nach bestmöglichem Ermessen das jetzt Richtige ist. Ohne Bedauern – man trägt die Erfüllung ja stets mit sich.

Nun aber zur Tour:

Technische Angaben, die nach meinem Ermessen im Mittelteil falsch sind – falsch sein müssen! – finden sich zusätzlich im Führer «Alpinwandern; Zentralschweiz – Glarus – Alpstein» des SAC.

Die Tour beginnt zuhinterst im Weisstannental. Talort ist Mels, oder mit ÖV Sargans. Wer am Wochenende unterwegs ist, kann mit dem Bus bis zuhinterst nach Vorsiez fahren. Unter der Woche ist in Weisstannen Start (+ 3/4 Stunden, ev unterwegs Autostopp mit Alpleuten).

Kurz vor Vorsiez vor einer kleinen Brücke direkt rechts steil weglos über Weiden ansteigen. Also nicht die im Führer beschriebene Route nehmen, die später zu einer sehr mühsamen Bachüberquerung zwingt, sondern unbedingt den (im Führer erwähnten) «Umweg», vom Tal aus rechts der Brücke nehmen. Von dort problemlos zur ersten Waldgruppe und diese rechts, nun auf Alpweg, durchqueren. Ziemlich weit ansteigen, bis die obere Weide erreicht ist und der Alpweg sich verliert. Wer nun lieber den Tanz durch Blacken und va Brennesseln vermeidet, nimmt die linke Pfadandeutung, die scheinbar weit weg von der anvisierten Rechtsquerung nach der Weide führt. (Ich habe beides gemacht, weil ich es wissen wollte). Über den Pfad im weiten Bogen zur Alphütte, daran vorbei und nun wieder auf klarem Weg durch lichten Wald bis zu einem Eck mit Blick über ein Seitental, dem man sanft ansteigend auf breitem Alpweg folgt. Zur entsprechenden Alp Lauisäss und von da wieder weglos weiter, eher links haltend, steil hinauf bis zum Übergang, der auf eine Ebene führt. Dort grüsst das Prudellhüttli. Ein wunderbarer Rastplatz (mit Wasser) – va wenn man allein ist. Bis hierher etwa drei Stunden, T2, zT recht mühsam (Kuhtritte).

Von nun an gehts weglos weiter, jedoch mit einfacher Orientierung. Bloss der Anfang ist wichtig: Nicht den Grat, der über der Hütte ansetzt, nehmen, sondern leicht rechts ansteigend die Ebene traversieren, bis man zum richtigen Westgrat gelangt, der leicht auf den ersten Gipfel führt (Guli). Von da wann immer möglich dem Grat folgen, der über weitere hübsche Gipfel und zwischendurch sanfte Senken führt (Apöstel), bis man vor dem Massiv des Hochfinsler steht. Diese eindrückliche Berggestalt mit langem Grat sieht man schon von weitem aufragen. Über einen steilen Zickzackweg gehts nun hinauf auf den Vorgipfel (im Führer fälschlich als Gipfel bezeichnet).
Ein stets wechselnder herrlicher Rundblick begleitet bis hierher die Tour und die umfassende Stille lockt nun zu einer ausgedehnten Rast. Bis hierher T3, einige ausgesetzte Stellen T4. Etwa zwei Stunden. (Der Führer sagt 1 3/4 Std. Ich benötigte 1 1/2 Stden und dachte noch: ‚He, ich bin mit all den vielen Ruhepunkten und emsigem Fotografieren gut in der Zeit!‘ Als ich dann für den Weg zum eigentlichen Gipfel nochmals mindestens eine Stunde, eher mehr, brauchte, war mir klar, dass sich die Autoren des Führers geirrt haben müssen. Denn, länger als die angegebene Zeit habe ich noch nie gebraucht; zumal die Überschreitung für mich technisch und mental einfach war, also ganz beschwingt genommen wurde).

Nun beginnt der alpintechnisch interessanteste und schönste Abschnitt, der allerdings auch etwas mehr Mut verlangt (T4+). Padspuren, die nach Biegungen jeweils zuverlässig aus der Ferne auftauchen, vermitteln jedoch stets die Zuversicht, dass es weitergeht (ich wusste ja noch nicht, ob die Tour nicht doch am letzten Gipfel geendet hätte). Man steigt also kurz nach dem ersten Finslergipfel linkerhand exponiert über eine senkrechte, aber leichte Felsstufe ab. Nun leitet der schmale, meist exponierte, aber gute Pfad mehr oder weniger dem Grat folgend Richtung Hochfinsler. Eine von weitem scheinbar schier uneinnehmbare Mauer entpuppt sich erst, wenn man direkt davor steht, als erstaunlich einfach zu besteigen. Bald gelangt man, zuletzt stets auf dem schmalen Grat, zum Gipfel mit mächtigem Kreuz und einer Bank zu jeder Seite.

Nein, die Tour ist noch nicht zu ende; auch nicht das Aufwärts! Man könnte noch weiter tanzen über den nun noch exponierteren Grat (T5-T6). Aber, auch wer sich nach dem langen Anstieg über die rund drei Stunden, die so oder so noch bleiben, Rechenschaft abgibt, und sich bescheidet, hat noch einiges vor sich. Noch wartet nämlich ein weiterer Gipfel.
Vorerst geht es jedoch abwärts. Durch bald zerklüftetes, aber stets einfaches Gelände quert man unter dem weiter nach Norden verlaufenden Grat mit imposanten Felsgestalten durch, bis man zu einem wunderhübschen Seelein gelangt. Spiegelt sich die Abendsonne noch im Wasser, bist du gut unterwegs. Nun ist es vorteilhaft, den See zu umrunden und dann nach links ins Tal hinein leicht ansteigend weiter zugehen, statt den Pfadspuren zu folgen, die direkt zu einer kleinen Alp hinunter führen. So kann man sich die Gegensteigung auf hässlichem Kuhpfad sparen und stattdessen in weitem Links-, dann Rechtsbogen ungefähr auf selber Höhe auf den breiten Rücken gelangen, der zur Guscha, dem letzten Gipfel des Tages, führt.

Auch hier endet die Sanftheit nochmals abrupt. Kurz vor dem Gipfel wird der Pfad wieder schmal, wenngleich nicht exponiert, und bleibt so während dem ganzen steilen, aber sehr schönen Abstieg. Bis man schliesslich zu einer Alp gelangt, wo man sich entscheidet, noch ganz ins Tal nach Heiligkreuz abzusteigen (insgesamt knapp 2300 Meter Abstieg) oder doch lieber zur nahen, von oben als grosses Haus sichtbaren «Festhütte» zu gehen und von dort die Luftseilbahn nach Flums zu nehmen (über die näheren Umstände, wie über vieles zwischen den Zeilen habe ich mich bereits im ersten Bericht im Zeichen der Ruhepunkte geäussert).

So endet eine grosse, noch vielmehr aber grossartige Wanderung zwischen St. Galler- und Glarnerland, immer schön dem Grat nach.

Epilog: Von Flums mit ÖV nach Hause bedeutet meist ein längeres Unterfangen. Zuerst muss man mal von der Talstation ins Zentrum kommen (2 km). Übernachten? Ja, aber nicht in der ungastlichen Festhütte da oben auf dem Berg. Und in Flums schauts auch nicht wahnsinnig amächelig aus. Also den nächstmöglichen Zug nehmen, damit ich noch am heutigen Datum ins Bett komme. – Hätte ich jedoch damals schon gewusst, dass mich nur wenige Tage später noch eine ganz andere Dimension von wandern erwartet, sowohl was die Länge als auch was den Anspruch angeht, nämlich die Mürtschenstock -Überschreitung,, ich wäre an diesem Tag wohl nicht so leichthin «ohni Znacht is Bett» gegangen.

Und die Fotos?  Habe ich doch damit geblufft, dass ich über 200 Fotos geschossen hätte. Also gut, ab nächstem Jahr plane ich, die Magazinbeiträge vermehrt mit Fotos zu dekorieren. Bis dann sollte es wohl reichen, auch die verschiedenen, im Magazin beschriebenen Touren mit Fotos nachzurüsten. Also, immer wieder mal nachschauen; spätestens dann, wenn du eine der Touren planst. Denn für dieses Jahr ist es wohl vorbei. Ausser … vielleicht für die Polenmauer.

1 Kommentar »

  1. […] PS: Wo das Ganze stattgefunden hat, kann man aufgrund der Hinweise erahnen. Eine ausführliche Beschreibung mit hoffentlich (endlich!) ein paar Fotos der über 200, die ich geschossen habe, soll demnächst in diesem Theater folgen. -> mittlerweile publiziert im 2bd magazin […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Auf langer Tour mit Ruhepunkten am 6. Februar 2012 um 19:31 Uhr

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